Richtiges Üben am Klavier – kurze Einführung

Richtiges Üben am Klavier – kurze Anleitung.

Jemand hat einmal gesagt: die Arbeit an einem Instrument ist in erster Linie Arbeit an der Person. Dem stimme ich uneingeschränkt zu! Immer wieder beobachte ich, dass die Frage, wie jemand übt, in erster Linie eine Frage des Charakters ist. Da gibt es den Gehorsamen, der alles genau so macht, wie es ihm gesagt wird, ob er einen Sinn darin sieht oder nicht. Was man ihm vergisst zu sagen, macht er auch nicht und erst recht nicht, wenn man ihm etwas untersagt. In kreativem Üben ist er recht unbeholfen und im Denken neigt er zur Umständlichkeit. Dann gibt es den Verständnisvollen, der alles abnickt und sich einsichtig gibt, der aber, wenn überhaupt, die Übungen nur dem Lehrer zum Gefallen macht. Am liebsten folgt er doch dem Spaßprinzip und dreht sich dabei häufig im Kreis. Schwieriger ist es aber noch mit dem Widerspenstigen. Man könnte ihn auch den Unbelehrbaren nennen. Er gibt sich selbstbewusst und gegenüber seinen Defiziten ist er weitgehend wahrnehmungsresistent. Da man als freier Lehrer nicht jeden unterrichten muss, ist dieser Typ wohl eher im Pflicht-Nebenfach Klavier an den Hochschulen o.ä. anzutreffen. Der Autodidakt ist da etwas leichter zu händeln. Wenn er etwas tut, macht er es, weil er es so versteht und daher ist er in der Regel innovativer als die anderen Typen. Man muss allerdings verstehen lernen, wie er versteht und dann kann man ihm auf der Grundlage seines Denkens bessere Wege aufzeigen. Es ist auch nicht so, dass es mit den Begabten oder Hochbegabten leichter wäre. Nicht selten stehen sie sich selbst im Weg, weil sie glauben über den Dingen zu stehen und soetwas wie Sorgfalt erst lernen müssen.

Wenn ich nun meine kleine Anleitung zum richtigen Üben so einleite, dann deshalb, weil richtiges Üben eben nicht nur einfach eine Willensentscheidung ist, mit der man sich von einer schlechteren Arbeitsweise am Instrument einer besseren zuwendet, wie man etwa an einer Kreuzung mal eben einen anderen Weg einschlägt. Es ist vielmehr so, dass es ein Prozess ist, in dem man mehr oder weniger durch Fortschritte und Rückschläge zu einer reiferen musikalischen Person heranwächst, oder auch nicht – ich schließe mich selbst da nicht aus.

Sicher handelt es sich bei meiner Beschreibung um reine Stereotypen, aber es wird doch auch deutlich, dass man bei den unterschiedlichsten Charakteren und Ansprüchen an das Klavierspiel nicht undifferenziert die gleichen Strategien anwenden kann, wie auch nicht in jeder Phase eines Wachstumsprozesses alles verdaut werden kann. Andererseits fordern aber die naturgegebene Bedingungen unserer Anatomie und des Gehirns bestimmte Exerzietien, die uns am Ende vor die Wahl stellen: entweder machst du es jetzt richtig oder du lernst es nie. Auch ich kenne nur allzugut die Rückschläge durch die Ungeduld.

Mir ist in meiner langjährigen pädagogischen Erfahrung eines klar geworden: Es ist nicht entscheidend, dass man dem Schüler das richtige sagt, sondern dass man den Zeitpunkt findet, wo er dafür offen ist. So bleibt die Arbeit mit einem Schüler hin zu einem künstlerisch reifen und technisch brillanten Spiel immer ein Spagat zwischen seinen Zielvorstellungen und den dazugehörigen naturgegebenen Bedingungen des Körpers, des Geistes und der Person.

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. . . Dann am besten aufmerksam und vielleicht nach einiger Zeit nocheinmal. denn oft wird einem beim zweiten Mal manches deutlicher, wozu man vorher noch nicht offen war – ein Indiz dafür, dass wir eben nicht zu jedem Zeitpunkt alles aufnehmen, geschweige denn umsetzen können. Alles verstehen hat seine Zeit und die ist nicht immer dann, wenn wir etwas gesagt bekommen.

Was die Übedisziplin meiner Schüler betrifft, ist es für mich durchaus legitim dass sich jemand am Klavier einfach nur entspannen will. In gleicher Weise ist es für mich auch legitim, wenn sich jemand mit seiner ganzen Person hineinstürzt. Wenn jemand jedoch eine steile Erfolgsleiter auf maroden Sprossen erklimmen will, ist es meine Pflicht, ihn davon abzuhalten. Ebenso vom Überschreiten einer Schwelle mittels einer Leiter. Meine Anleitungen zum Üben haben daher immer einen ökonomischen Anspruch. D.h.: mit geringstem Aufwand bestmögliches erzielen. Überhaupt ist die gesamte Klaviertechnik, wenn sie gut ist, mit der Forderung nach ökonomischem Kraftaufwand durchzogen.

Die Motivation zur Arbeit am Klavier mag nun sehr unterschiedliche sein. Bei aller Individualität jedoch sollten einige wenige Bedingungen des Körpers und des Gehirns beachtet werden, um den Sinn empfohlener Übungen zu begreifen, oder möglicherweise auch deren Unsinn und um nachhaltig von der am Klavier verbrachten Zeit zu profitieren.

1. Beim Wiederholen von Bewegungsmustern am Klavier, setzen immer zwei gegenläufige Entwicklungen ein: zum einen erleben wir eine zunehmende Vertrautheit des Bewegungsmusters bis hin zur vollständigen Automatisierung und zum anderen entzieht es sich mit jeder Wiederholung zunehmend unserer Einflussnahme, Kontrolle und Wahrnehmung. Dies mag allgemein (besonders bei Laien) als Übeerfolg oder gar als Ziel gewertet werden, es führt jedoch bei jedem Fleißigen früher oder später in die Verzweiflung. Wer also auf Übungen mit kopflosen Wiederholungen setzt, wird scheitern! Lesen Sie hierzu „Die Motorische Falle“.
Es gibt neuronale Tricks, mit denen man diese Gegenläufigkeit aushebeln kann. Hierzu unten mehr.

2. Wer glaubt ein Glas Wasser 5 Minunten mit ausgestrecktem Arm halten zu können, wird schnell eines Besseren belehrt, wenn er es versucht. Unsere Muskulatur ist nicht auf Dauerbelastung ausgelegt. Sie ist sogar in dieser Disziplin außerordentlich schlecht. Aber genau das versucht jeder, der mit physischer Anspannung spielt und technische Mängel mit Kraft kompensiert. Er wird wenig Fortschritte machen und wenn er hartnäckig ist, immer wieder vom Regen in der Traufe landen. Wer also auf Kraftübungen ohne Verstand setzt, wird ebenfalls scheitern! Hierzu unten mehr.

3. Wer mit dem Auto zu dicht auffährt, erlebt das Autofahren als puren Stress. Vorausschauend fahren ist entspannter! Genau so ist es beim Klavierspiel: unser Gehirn konstruiert bestimmte Bewegungsabläufe (nicht alle), bevor es sie ausführt. Spielt man ohne dieser Bedingung unseres Gehirns Raum zu geben, erlebt man das Spielen weder als Herausforderung noch als Entspannung sondern einfach nur als nackten Stress.
Um am Klavier entspannt vorausschauen zu können, bedarf es allerdings auch einer guten Organisation des jeweiligen Notentextes. Vor allem unter Laien ist die Ansicht weit verbreitet, das schnelle Notenverarbeiten sei zu trainieren, aber das ist so also ob wir Texte in Buchstaben verarbeiten würden, und das versuchten zu beschleunigen. Wer die Mechanismen der visuellen Textverarbeitung kennt, weiß, dass das was wir sehen nur ein Auslöser zum flüssigen Lesen und Verstehen eines Textes ist. Dass wir fließend lesen basiert immer auf einer Mischung aus grober Bilderfassung und Konstruktion auf der Grundlage von Sinnerwartung, inhaltlichem Verstehens und Kenntnis der Begriffe und der Grammatik.

So verhält es sich auch beim Musizieren. Musik ohne Sinnerwartung und ohne Erfassen von harmonischen und formalen Strukturen spielen zu wollen, ist, als ob wir einen Text lesen wollten in dem wir ihn in rasendem Tempo buchstabieren.
Hierzu unten mehr. Lesen Sie auch hierzu „Verspannung, eine Ursache…“
„Lesen mit vertauschten Buchstaben“ (wird noch eingestellt)
Nicht selten erlebe ich, dass Spieler, die ihre Arbeit am Klavier mit Fleiß in die falsche Richtung betreiben, in die Verzweiflung geraten. Eine verfrühte Selbstdiagnose lautet dann: „Ich bin unbegabt!“, dabei ist es oft nur einem falschen Üben geschuldet bzw. einer falschen Einstellung dazu.

Ich denke, wer mir bis hierhin zustimmt, ahnt, dass sein Weg ein ganz leichter sein könnte, wenn da seine innere Haltung eine andere wäre. Ich will daher nur einige Kurze Impulse geben, die falsche Mechanismen aushebeln können und Anstrengungen in die falsche Richtung verhindern ohne im Genaueren auf die Hintergründe einzugehen.

Die entscheidenden Erfahrungen mit den neuropsychologischen Bedingungen einer erfolgreichen Entwicklung am Klavier habe ich im Übrigen nicht durch meine Arbeit mit Hochbegabten gemacht, sondern mit solchen, die irgendwo auf ihrem Weg in die Sackgasse geraten sind. Und jeder Schritt heraus aus dieser Sackgasse war – wie bei einer Sucht – mit dem Erfolg immer an die innere Haltung geknüpft.

Kurze Faustregeln also zu 1. Haben Sie „Die Motorische Falle“ gelesen? Dann vielleicht einfach zur Regel machen, eine Stelle nie mehr als 3 mal zu wiederholen. Das schafft eine zunehmende Vertrautheit, verhindert aber auch, dass die Stelle zum störanfälligen Schlafwandel mutiert.
Wenn man das „Üben in Gruppen“ kennt und die dazugehörigen Regeln beachtet, weiß man um die Bedeutung der Unterbrechung. Hier gibt es einen einfachen Trick um das abgleiten des Bewusstseins bei zunehmender Automatisierung zu verhindern. Oder anders ausgedrückt: um einfach nur präsent zu bleiben. Man unterbricht einen übersichtlichen Abschnitt und lässt die Hände auf der Position, auf der man unterbricht. Schließlich greift man (mental vorbereitet) mit sofortigem Losspielen in die neue Position, in der die Stelle fortgesetzt wird. (Voraussetzung ist natürlich, dass es an der Schnittstelle einen Positionswechsel gibt.) Beim nächsten Durchgang verhält man sich genau umgekehrt: man greift mit der Unterbrechnung bereits in die neue Position um und wartet dort. Ob man das eine oder das andere tut muss man immer vorher entscheiden und möglichst eine regelmäßige Abwechslung vermeiden, damit keine Erwartungsmotorik entsteht. Eine solche kleine Entscheidung, die man vor Beginn des Abschnittes immer wieder neu trifft und umsetzt, bewirkt eine immer wieder neu herausgeforderte mentale Präsenz, auch wenn sie von einem andere, vielleicht eigentlichen Problem nur ablenkt. Das erledigt sich meist dann schon ganz von selbst oder kann schließlich durch die hinzugewonnene höhere Fähigkeit der Einflussnahme mit einfachem Willen gelöst werden, was ja bei unkontrollierter Automatisierung nicht möglich ist.
Man installiert quasi eine kleine Störung, die nicht wirklich stört, aber die immer wieder beachtet werden muss. Das kann auch etwas anderes sein als das sofortige oder späte Umgreifen.

Eine weitere Faustregel ist es, eine Problemstelle mit ihren Fehlern nacheinander nach und nach langsamer zu spielen bis man schließlich ein bequemes Zeitlupenniveau erreicht hat, indem man sie (vorausschauend) berichtigen kann. (Achtung! Es muss ein runder Bewegungsablauf bleiben und man darf nicht in eine Art Buchstabiermodus verfallen). Danach spielt man sie nach und nach wieder (korrigiert) schneller und erlebt, dass man sie plötzlich sicherer und in einem Tempo ausführen kann, das vorher noch undenkbar erschien. Wenn man sich jedoch die einzelnen Abstufungen ersparen will und gleich auf Zeitlupe geht, spaltet das Gehirn die Stelle ab und man hat quasi zwei unabhängige Stellen. Geht man dann wieder sprunghaft ins schnelle Tempo zurück, landet man wieder in der problembelasteten, fehlerhaften Variante.

Manchen helfen Rhythmisieungen und Kontezntration auf verschiedene Dinge nach einem Rotationsprinzip, weil sie die Aufmerksamkeit immer wieder anders herausfodern. Manchen helfen solche Übungen aber auch nicht, weil sie es so machen, dass hierdurch neue motorische (also automatisierte) Varianten entstehen, die das Gehirn gesondert abspeichert. Faustregel, damit solche Übungen greifen: Es muss im Gehirn die selbe Stelle bleiben, die man eben bewusst verformt! Verändert man sie zu stark oder spielt die Varianten zu hartnäckig mit kopfloser Erfolgserwartung, greifen solche Veränderungen nicht.

….Text wird weiter vervollständigt.