Wenn wir etwas verstehen oder uns etwas erklären, geschieht das meist an Denkmodellen. Und nicht selten kommt es vor, dass sich Denkmodelle etablieren, die uns bei der Betrachtung eines Phänomens mehr im Wege stehen, als dass sie es uns erschließen. So ist es mit der etablierten Vorstellung, dass das Lernen etwas Aktives sei, also soetwas wie ein aktiver Prozess des Gehirns und das Vergessen dagegen soetwas wie ein passiver Prozess – sofern es überhaupt passive Prozesse in unserem Gehirn gibt.
Wir erleben, dass wir uns beim Lernen anstrengen und das Vergessen geschieht offenbar wie von selbst.
Ich dagegen widerspreche dieser Vorstellung und behaupte: wenn man sich schon das Lernen und Vergessen als aktive oder passive Prozesse im Gehirn erklärt, dann doch so, dass das Lernen der passive Prozess ist und das Vergessen dagegen aktiv.
Das klingt zunächst ein bisschen verwirrend, aber Ich will es begründen. Schauen wir doch einmal genauer hin. Jeder kennt es, dass man sich an etwas erinnert, das man vergessen glaubte und wundert sich nun, dass durch einen Geruch oder ein Geräusch plötzlich eine längst verschollen geglaubte Erinnerung wachgerufen wird. Möglicherweise sogar etwas, das man überhaupt nicht für abgespeichert gehalten hatte. Jeder kann aus seiner Erfahrungswelt solche Begebenheiten berichten. An traumatische Erlebnisse erinnern sich viele gar nicht mehr, besonders, wenn sie in der Kindheit liegen und mit sexuellem Missbrauch verbunden sind, doch sie sind da und die Schäden auch. Ich will hier nicht weiter ausholen. Schaue doch jeder einfach nur hin.
Ich sehe, dass unser Gehirn, wie ein Schwamm, ALLES aufnimmt und behält. Bliebe uns aber nun alles gleichzeitig im Bewusstsein, würden wir wahnsinnig. Daher sind wir,um es vereinfacht auszudrücken, mit einem „Filter“ ausgestattet, der uns die irrelevanten Informationen ausblendet.
Um diesem Denkmodell Gewicht zu verleihen, könnte ich nun unzählige Veranschaulichungsbeispiele heranziehen.
Am deutlichsten wird diese enorme „passive“ Speicherleistung, die uns ohne Mühe, quasi von selbst gelingt, wenn wir uns bewusst machen, dass alle Gegenstände, die wir in unserem bisherigen Leben einmal in der Hand gehalten haben, uns nicht mehr bezügliche ihres Gewichts, der ertasteten Größe und der Oberflächenbeschaffenheit überraschen können. Sie sind alle präzise abgespeichert, egal wie weit die Erinnerung zurückliegt und wie flüchtig wir sie in der Hand gehalten haben! Das geschieht so selbstverständliche, dass wir es nur an solchen Gegenständen erkennen können, die uns eben überraschen: Eine Vase beispielsweise, die wir für leer halten, die aber gefüllt ist, oder ein Stein, der aber aus Kunststoff besteht….usw.
Der – ich nenne es hier einmal – „Mechanismus“, der uns die Dinge ausblendet, ist ein Schutzmechanismus unseres Gehirns, der aktiv wird. Um so aktiver, je mehr wir erinnern wollen, was uns – nach Bewertung unseres Gehirns – schadet. Diese Bewertung stimmt nicht immer mit unserem „Willen“ überein und hier entsteht der Konflikt.
Wer kennt es nicht, dass man übermüdet nichts mehr in den Kopf bekommt? Oder, dass nicht hängen bleiben will, was einen aber jetzt interessieren SOLLTE? Anderes dagegen verstehen und behalten wir sofort, ohne dass wir es jemals wiederholen müssen. Schauen wir einfach hin. Erschließt sich nicht an diesem Denkmodell das dunstverhangene Phänomen „Lernen“ viel besser? Dann gilt es doch wohl eher die „neuronalen Filter“ zu unterlaufen als in einfach nur aktivem Pauken zu verharren!
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Herborn 2. Mai 2021