Hässliches Mittelhessen

Wo Berge rings ein Tal umschließen
da liegen Dörfchen, groß und klein
umkränzt von Wald und grünen Wiesen
und golden blühen Flur und Hain.


Von Bergeshöhen schau ich nieder
ins Tal, dort wo ein Bächlein rauscht,
wo ich der Mutter Wiegenlieder
in Glück und Frieden zugelauscht.

Wo Berge rings ein Tal umschließen
da leget mich zur letzten Ruh.
Am Hang, begränzt von Wald und Wiesen
deckt mich mit Heimaterde zu!

der Verfasser ist mir leider unbekannt
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Das muss lange hergewesen sein, dachte ich und schrieb in 2006:

Doch – so möchte man weiterdichten –
Wo ist noch Heimaterd zu finden
wo noch ein Haus, das man besingt.
Wo sind die Brunnen unter Linden?
Überall die gleichen Sünden,
die nicht mehr gut zu machen sind.

Hört endlich auf mit der Zerstörung!
Ist es nicht irgendwann genug?
S’ist ohnehin nichts mehr zu finden,
das einmal Lieder in sich trug.

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Freilich ist es nicht überall so, doch immer mehr Steinwüsten wuchern, wo einmal Vorgärten waren, Bäume werden gefällt oder aufs Übelste misshandelt, dass sie nicht über die Dächer wachsen. Das scheint überhaupt die mittelhessische Antwort auf den Klimawandel zu sein: Jeder Baum, der gefällt ist, kann nicht mehr umfallen, wenn die Stürme kommen. Einladende Fensnterläden sind abweisenden Rolläden gewichen, verzierte Scheunentore Rolltoren aus Aluminium und in den Höfen abgemeldete Autos.
Besonders schlimm trifft es die Gegend, aus der ich komme und es ist nicht immer nur eine Frage des Geschmacks.

Vielleicht sollte man heute reimen:

Wo Berge rings ein Tal umschließen
dort liegen Dörfchen, groß und klein
umkränzt von Baumärkten statt Wiesen
und tief verwundet Flur und Hain.

Von dort schau ich ins Tale nieder
auf lauten, fließenden Verkehr
wo einstge Mütter-Wiegenlieder
sind ihrer Zeit längst hinterher.

Will ich beweinen jene Tage?
Will ich beweinen Heimatglück?
Hier ist es häßlich, keine Frage
und es geht vor und nicht zurück.

Wo Berge rings ein Tal umschließen
wo Dörfchen liegen, groß und klein
beleibt einem nur noch: sich erschießen
und mit dem Hund begraben sein.

Dietmar Seibert, Mai 2018