Klavierunterricht für Blinde / …für Kinder im Vorschulalter

Klavierunterricht für Blinde

(„Kinder im Vorschulalter am Klavier“ siehe weiter unten)

In Marburg erteile ich Klavierunterricht für Blinde und Sehbehinderte. Nachstehend finden Sie eine kurze Beschreibung meines Unterrichtskonzepts für Blinde, sowie ein paar Links zum Thema: Notation für Blinde und Sehbehinderte. Anfragen unter: 0171 7850315 oder über das Kontaktformular.

Konzeptbeschreibung:

Für Blinde ist es immer mit einem besonderen Aufwand verbunden, ein Klavierstück zu lernen. Das Ablesen eines Notentextes in Brailleschrift ist umständlich, erfolgt langsam und kann auch kaum während des Spielens geschehen. Abgesehen davon gibt es nur wenige Literatur im Handel, die in Punktschrift übersetzt ist. Jedes Stück muss also in einer aufwendigen Prozedur auswendig gelernt werden. Hierzu muss mit Hilfe des Tastsinns eine kurze Passagen der linken und der rechten Hand getrennt erlernt werden, die anschließend aus dem Gedächtnis zusammen gefügt werden muss. Nun gilt es, diese Passage durch häufiges Wiederholen zu festigen. Jeder, der schon mal ein Stück am Klavier auswendig gelernt hat, ob als Sehender oder Blinder, kennt die „Motorische Falle“. Je häufiger man eine Passage wiederholt, um so stärker wird deren Ausführung vom motorischen Kortex des Gehirns übernommen. Die Bewegungsausführung wird zunehmend unbewusster. Die bewusste Wahrnehmung bleibt auf der Strecke. Es ist hierbei durchaus möglich, dass jemand ein ganzes Klavierwerk spielt, ohne dass er auch nur einen Ton wirklich kennt, geschweige denn, eine Passage aufschreiben könnte. Der Spieler verlässt sich ganz auf eine automatisierte Motorik, wodurch er sich jedoch zu jedem Zeitpunkt auf sehr brüchigem Eis befindet. Nicht selten kommt es vor, dass beim Musizieren auf diese Weise, massive Aussetzer auftreten, dass jemandem der Anfang des Stückes plötzlich nicht mehr einfällt, weil er in der Aufregung versucht hat, sich bewusst an ihn zu erinnern usw. Die „motorische Falle“ ist ein Phänomen, dass sicher jedem Pianisten vertraut ist, am meisten aber sicherlich dem Blinden, der während des Spielens keine Unterstützung durch den gedruckten Notentext hat, weder durch ein Erinnern an das Notenbild, noch dadurch, dass er ihn lesend verfolgen könnte.

Mit meinem Klavierunterricht für Blinde setze ich genau an dieser Stelle an. Voraussetzung für einen Unterricht bei mir ist, dass die Noten-Brailleschrift bereits erlernt ist. Mein Bestreben ist es nun, den blinden Schüler mit der Harmonielehre am Klavier auf eine Weise vertraut zu machen, die er fühlen kann. Gleichzeitig verknüpfe ich diesen Unterrichtsansatz mit gezielter Schulung des Gehörs, was ihm dazu verhelfen wird, über die akustische Erinnerung, die harmonischen Zusammenhänge präzise am Klavier zu fühlen und seine Bewegungsmotorik kognitiv zu verflechten.

Diese Strategie ist nicht nur eine entscheidende Hilfe beim Erlernen eines in Punktschrift notierten Stückes, sondern auch Grundlage, um sich Klavierstücke durch abhören anzueignen. Gleichzeitig führt die sensorische Wahrnehmung der harmonischen Zusammenhänge zu einer von der Motorik weitgehend unabhängigen Kenntnis des Stückes und gewährt dem Spieler Zugang, zu welcher Stelle auch immer.

Ein weiterer Ansatz stellt hierbei die Gliederung eines Werkes in kleine über- und untergeordnete Abschnitte dar, die – ähnliche wie bei dem Üben mit „optischer Skizze“ im Gedächtnis des Blinden räumlich platziert werden müssen.

Mit Hilfe dieser Techniken ist es mir beispielsweise gelungen, einer blinden Schülerin ein Klavierstück über zwei Seiten Notentext in nur zwei Klavierstunden allein durch beschreiben im Gedächtnis zu vernetzen. Nun kannte sie es und konnte auch bei Bedarf in jedem beliebigen Takt einsetzen. Jetzt konnte die Arbeit beginnen, die Bewegungsabläufe zu festigen und es klanglich und musikalisch auszufeilen.

Dietmar Seibert, Juli 2008

Links zum Thema: Notation für Blinde und Sehbehinderte

Braille-Noten-Service für Blinde und Sehbehinderte des Vereins zur Förderung der Blindenbildung

Musik begreifbar machen! Notenschrift für Blinde und Sehbehinderte

Neuartige Notenschrift für Blinde – Licht im Dunkeln: Eine blinde Musik-Studentin hat eine neuartige Notenschrift für Sehbehinderte erfunden…

Instrumentalunterricht mit blinden und sehbehinderten Kindern….die seit 1992 existierende Notationsform „Kästchenschrift“ kann als Vorstufe zur Punktschrift im Instrumentalunterricht bereits mit Kindern ab 5 Jahren eingesetzt und vom sehenden Musiklehrer in wenigen Stunden erlernt werden. Diese Notation basiert auf der uns gebräuchlichen Symbolschrift mit Noten in einem 5-Linien-System…

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Kinder im Vorschulalter am Klavier

Spätestens wenn mich ein Kind während des Unterrichts fragt: „Hast du eigentlich schon meine Kaninchen gesehen?“, weiß ich, dass ich es langweile. Kinder sind von Natur aus interessiert, jedoch nicht unbedingt an dem, was man ihnen vermitteln möchte. Das gilt um so mehr, je jünger sie sind und eben darum kann man sich um so weniger bei ihnen auf ein starres Unterrichtskonzept stützen. Für die Arbeit mit Kindern ist eines unverzichtbar, nämlich dass man sie mag. Wer Kinder nicht mag, sollte die Finger von ihnen lassen. Wer sie aber mag und unterrichten möchte, der sollte wissen, was er tut.

Kinder sagen immer die Wahrheit!

Das stimmt nicht und irgendwie stimmt es doch. Die Sache ist die: man muss ihre Sprache verstehen. Sie sagen nicht, dass sie etwas nicht verstehen, doch sie zeigen plötzlich Interesse an etwas andereem, etwa am Metronom oder an den Pedalen. Wenn sie einer Anweisung ausweichen, dann tun sie es kaum, weil sie nicht wollen, sondern, weil sie glauben, dass sie es nicht können und weil sie sich diese Blöse nicht geben wollen. Kein Kind, dem ich jetzt fehlerhalft vorführe, was es selbst viel besser kann, hebt nicht an, mir zu zeigen, wie das geht. Kinder spielen mit offenen Karten, man muss nur deren Symbole kennen. Auf dieser Grundlage arbeite ich mit Kindern im Vorschulalter und finde heraus, ob und wo ich ihr Interesse für das Instrument und die Musik im Allgemeinen wecken und schließlich lenken kann. Eine von mir entwickelte Methode bezieht sich hierbei insbesondere auf das Entdecken der Zusammenklänge von Tönen, deren bildliche Darstellung in den Notenlinien (ggf. zunächst ohne Bezeichnungen durch Buchstaben) und das Zusammenwirken von sensomotorischen Erfahrungen und dem Gehör.

Mit Erstaunen stelle ich jedoch auch fest, dass ein kindgerechter Blick in Notentext und Klaviatur, aus dem heraus vollständige und unvollständige „Würmer“ und deren „Zwillinge“, verliebte und traurige Würmer, Männchen und Weibchen sichtbar werden, auch manchem fortgeschrittenen Erwachsenen endlich Zugang zu seiner Musik auf eine Weise verschafft, die ihn auch während des Spiels harmonische Zusammenhänge bequem wahrnehmen und verfolgen und nicht zuletzt auch auswendig behalten lässt.
(Hierzu erschien ein Artikel in der IZ-Instrumentebau-Zeitschrift Ausgabe 10/2010)