Ich habe mir den Beruf nicht ausgesucht. Vielmehr ist es so, dass er mich gefunden hat. Immer mehr wollten bei mir Unterricht haben und das nun schon seit fast einem halben Jahrhundert. Tatsächlich kann ich mir Wettbewerbsgewinner in regionalen und überregionalen Wettbewerben auf die Fahne schreiben. Ich kann nicht mehr sagen, wie viele Schüler ich durch diverse Aufnahmeprüfungen und sogar Examen begleitet habe, aber wirklich stolz bin ich auf Schülerinnen wie Michaela (ich nenne sie einmal so): Vom Jugendamt vor der Mutter in Gewahrsam genommen, aufgewachsen in einer Pflegefamilie, Sonderschule, lernbehindert, spätere Hilfskraft in der Waschküche eines Altenheimes, aber sie konnte Klavier spielen und bei Veranstaltungen war sie der Stolz der Einrichtung. Als ich sie später einmal wiedertraf und sie mir herzlich um den Hals fiel, wusste ich, dass ich ihr mehr gegeben hatte, als ich damals dachte, dass ich ihr geben könnte.
Hochbegabte zum Erfolg führen ist nichts Besonderes. Sie würden auch mit einem anderen Lehrer ihren Weg machen. Unbegabte zum Erfolg führen dagegen schon. Es erfordert wesentlich mehr Verständnis von den Neuronalen Vorgängen beim Klavierspiel. Es erfordert Empathie und Kreativität und vor allem erfordert es – wie bei allen Schülern – Lösungsansätze, die greifen!
Für mich gibt es kein stupideres Klischee vom Klavierlehrer, als das von dem, der unentwegt Fis, Fis, Fis schreit, während sein Schüler unbeirrt F spielt. Die Frage ist doch, warum spielt er kein Fis? Hört er es nicht? Kann er es nicht lokalisieren? Kann er es nicht steuern? Jeder Fehler eines Schüler fällt auf mich als Herausforderung zurück. Wie kann ich es erreichen, dass etwas gelingt? Warum gelingt etwas bei dem einen und bei dem anderen nicht? Was sind die Mechanismen der Bewegungssteuerung, wie funktionieren sie und unter welchen Bedingungen funktionieren sie nicht. Wie lernt ein Kind anders als ein Erwachsener? Oder lernen sie gleich? Wie lernen Blinde anders als Sehende? Und wo sind vielleicht auch die Grenzen pädagogischer Machbarkeit?
Natürlich stellt sich mir auch immer die Frage, welchen Sinn hat es für jeden einzelnen, sich mit dem Klavier auseinanderzusetzen? Was will jemand erreichen? Was kann es für jemanden bedeuten? Das Klavier hat so viele Anwendungsmöglichkeiten . . . und doch bleiben meine Ansätze immer dem Ziel verpflichtet, es möglicherweise später auch beruflich nutzen zu können.
Heute kann ich sagen, Klavier zu unterrichten hat mir immer Spaß gemacht. Es ist etwas, das ich wirklich kann und meine Lehrer waren in erster Linie meine Schüler. An ihnen habe ich gelernt, welche Anweisungen greifen und welche nicht, dass es auch die Berechtigung gibt, einfach nur ein paar Lieder begleiten zu wollen, dass es auch anderen Geschmack gibt als der meine und dass jeder Schüler es wert ist, unterrichtet zu werden. Der Erfolg eines Lehrers ist nicht davon abhängig, wie weit ein Schüler gekommen ist, sondern wie viel es in seinem Leben bedeutet hat.
In diesem Sinne bezeichne ich mich heute gerne KLAVIERLEHRER